Die 4 Enden der Stadt

Der Film Die 4 Enden der Stadt verknüpft die persönliche Biografie Sven Boecks mit dem urbanen Raum der Vorstädte Berlins. Titelgebend orientiert sich die Struktur des filmischen Werks an den vier Himmelsrichtungen, womit zugleich ein weiterer, diesmal sinnhafter Raum einer Reise aufgemacht wird. Das Wandeln im Raum ist hier jedoch nicht physisch zu verstehen, sondern als Gang durch die Geschichte selbst, die Individualgeschichte des Autors, die im weiteren Kontext des historischen Geschehens aufgeht. Boeck, der sich für Buch, Regie und Kamera verantwortlich zeichnet, wirft den Zuschauer in eine dichterische Auseinandersetzung mit der eigenen, erinnerten Vergangenheit (und Gegenwart), die von Zeit zu Zeit ins Lyrische gleitet. Und so verwischen die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Prosaischem, zwischen Einzel- und Massenschicksalen, zwischen Leben und Erlebtem.

Die Bilder zeigen Stillleben im Wortsinn – stilles Leben. Und bewegen auf diese Weise umso mehr.

Oft besitzen sie einen dystopischer Nachklang, exponieren eine verlassene Welt, einzig beseelt von der Intensität der Auslassung. Denn der Film ist visuell erfüllt von Menschenleere. Auf tonaler Ebene sind wir dem Leben jedoch nahe, einerseits durch die kongeniale Musik, die den Bildern erst zu ihrer vollen Wirkung verhilft, andererseits durch die begleitende Stimme aus dem Off, die uns behutsam den Führer mimt. Durch diese formalen Aspekte, der visuellen Verweigerung körperlicher Exposition und der gleichsam tonalen Nähe, fühlen wir uns in der Loslösung allem Menschlichen eng verbunden. Auch birgt der Film existenzialistische Anklänge: Wenn in der Ferne die Gestalt eines unerkennbaren Fremden die Szenerie betritt, jene Baumkulisse streift, die vor, während und nach den Grausamkeiten der Diktatur dem Menschenschicksal unbeteiligt gegenüberstand und noch steht, fühlte ich mich an die Supertotalen Kubrick’s erinnert, der ebenfalls den Menschen verloren im Raum der Welt stilisierte. Die Orte selbst sind zwar sehr leise berichtende, doch keineswegs stumme Zeugen der Vergangenheit. Man muss sie nur zu lesen wissen, ihre Sprache verstehen lernen – Symbole dichterischer Vieldeutigkeit.

So setzt Boeck mit seinem Film ein vieldeutiges Zeichen, auch interpretierbar als Verweigerung der hastigen, auf Hochglanzästhetik uniformierten, historischen Blockbuster, die alles auf eine eindeutige Interpretation verengen und diese ist im besten Falle einfach nur hohl, im schlechtesten trügende Propaganda. Die 4 Enden der Stadt hingegen lässt sich Zeit, schenkt dem Zuschauer Leerstellen, um das Gesagte zu reflektieren und unterwirft sich nicht den Regeln der Mainstreamvisualisierung, die ihre Bilder im Staccato aneinanderreiht und in die Hirne tritt.

Er ist nicht anklagend, aber benennend, nicht verzweifelt, aber zweifelnd – und in jeder Hinsicht ein Geschenk!

Die 4 Enden der Stadt – Trailer from KOPPFILM on Vimeo.

Das Leben ist kein Heimspiel

Der zweite Film, der mich auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis sehr begeistert hat und dem ich hier mehr Raum geben möchte, ist wieder eine Dokumentation: Hoffenheim – Das Leben ist kein Heimspiel. Dass die jüngste Geschichte des ehemaligen Badener Regionalligaklubs, der innerhalb kürzester Zeit auf der Überholspur in die 1. Bundesliga gebraust ist, für enormes Aufsehen in der hiesigen Medienlandschaft gesorgt hat, ist allseits bekannt. Nun ist auch der Dokumentarfilm von Rouven Rech und Frank Pfeiffer am Start, der die Geschichte mal in aller Ruhe von innen erzählt. Im Fokus des Films stehen zwei Männer: Der Geschäftsführer des Clubs Jochen A. Rothaus und der Hoffenheimer Torsten Hartl (Torro), Fan der ersten Stunde (Zwinger-Club). Es ist schön mit anzusehen, wie beide Männer in ihren jeweiligen Bereichen, im Management und an der Basis, mit den vielfältigen Veränderungen umgehen und teilweise auch kämpfen müssen, die der Durchmarsch Hoffheims in die erste Liga mit sich brachte. Der eine treibt die Veränderungen voran, der andere muss sich darin einfinden. Besonders rückt der Film die Problematik der Tradition contra Modernisierung ins Licht der Leinwand – von Dorfverein zu rentablem Fußballunternehmen, von Fanchören zu Marketingstrategien, von Baden zu Würtemberg. Bei aller Kontroverse schafft es der Film nicht wertend zu werden, sondern persönlich und ganz nah am Geschehen vor Ort zu verweilen. Die Aufgabe der Distanz und die wirklich außergewöhnlichen Charaktere, die hier so authentisch wie es geht vom Blick der Kamera eingefangen werden, verleihen der Geschichte auch ihre Kraft, Dynamik und immensen Charme.

Im Anschluss an die Vorführung gaben die Macher und Protagonisten einen lohnenswerten Einblick in die Entstehungsgeschichte des Films selbst. So wurde das Filmprojekt mit dem Erfolg und des Vereins ebenfalls immer größer – der Film wuchs mit dem Verein. Die Regisseure sagten ganz klar, dass auch sie von einer starken Zuneigung zum Objekt ihrer Kunst, also dem TSG 1899 Hoffenheim, während des Drehs ergriffen wurden, was sicherlich besagte Distanzlosigkeit förderte. Für mich hatte es den Anschein, dass der Schwung des Films unmittelbar dem Schwung des Geschehens während der Produktion geschuldet ist. Und mal ganz im Ernst: Ist es nicht wunderschön eine Geschichte zu sehen, die sich ab einem bestimmten Punkt jedweder Planung seitens des Filmteams entzog? Hier liegt für mich auch die große Leistung der Regisseure, sich von der Bewegung des Geschehens einfach mitreißen zu lassen und mit großer Empathie selbige noch einzufangen. Zudem wirkt der Film sehr ehrlich. Das liegt wohl auch daran, dass die Regisseure von keinem Moment an Kompromisse eingegangen sind und sich nicht von dem Verein bezahlen ließen, obwohl sie diesem über die Drehzeit derart nahe gekommen sind. Dies betonte auch noch mal Herr Rotthaus, der ehrlich zugab (Hut ab!), dass man den Beiden Angebote gemacht habe, um sich vielleicht ein oder zwei Szenen ersparen zu können, diese aber unbestechlich blieben. Dass der Geschäftsführer des Vereins persönlich an den Filmvorführungen und abschließenden Diskussionen teilnahm sowie Rede und Antwort stand, empfand ich als sehr sympathisch. Rotthaus selbst ist auch ein eher erdiger und humorvoller Typ (muss er als erfolgreicher Manager auch sein) und nutzte die Gelegenheit natürlich auch für Eigenwerbezwecke (manchmal klammerte er sich für meinen Geschmack ein wenig zu sehr ans Mikro und verlor sich in seinem ‚Marketingsprech‘, was ihm aber verziehen sei). Torro war natürlich auch dabei und sorgte mit seiner eher rauen und unerschütterlich Version badischen Charmes für viel Stimmung. Filmteam, Management und Fanurgestein präsentierten sich in familiärer Eintracht, naiv und ungezwungen, eben der nach Außen kommunizierten Vereinsphilosophie.

Auf der anderen Seite muss noch bemerkt werden, dass auch die Hoffenheimer Vereinsführung dem Filmteam unbedingt die Treue hielt. So lehnte diese die Angebote einer Dokumentation über ihren Verein von um einiges größeren Medienmachern wie dem DSF klar ab und verwies darauf, dass sie bereits bestens versorgt seien; auch das verdient viel Anerkennung. Fazit ist also eine rundum gelungene Geschichte im und um den Film, der noch dieses Jahr laut Produzent Jochen Laube eine kleine aber feine Kinoverwertung erfahren soll. Dann folgt noch die Ausstrahlung im ZDF, einem der Hauptförderer des Films und natürlich die DVD-Vermarktung.