Eva und Franco Mattes haben ein sehr intelligentes Performance-Werk im digitalen Raum geschaffen. Als Raum, in dem die Performance stattfinden sollte, wählten sie den Ego-Shooter Counterstrike, in dem online zwei Parteien (Terroristen und Counter-Terroristen) sich solange bekämpfen, sprich gegenseitig töten, bis eine der beiden Parteien, je nach Zielvorgabe der Map, die Partie gewonnen hat. Danach geht die blutige Schießerei von vorne los. In diesem hektischen, auf Reaktion angelegten Spiel, stand die Figur der Künstler einfach in der Gegend rum und wollte die anderen Spieler davon überzeugen, sie nicht zu töten. Immer wieder erklärten die Künstler im spielinternen Chat: „Bitte erschießt mich nicht.“ und „Ich bin ein Künstler“. Diese Aussagen führten zu Beleidigungen, hönischem Gelächter und natürlich dazu, dass die Figur fortlaufend getötet wurde.
Hier geht es zur Website der Künstler: 0100101110101101
Nun kann man sich fragen, ob dies überhaupt einen Sinn macht. Ich denke schon, da Performance Kunst gerade die Aufgabe hat, in Räumen zu intervenieren, die von künstlerischen Auseinandersetzungen und Reflektionen weitestgehend befreit sind. Durch das Eindringen der Kunst in solche Räume sollen Fragen aufgeworfen und die den Raum Besetzenden, in diesem Falle also eine Horde junger, männlicher Menschen, mit sich und ihren Handlungen konfrontiert werden. Auf die Frage hin, warum das Blutvergießen hier spielerisch zelebriert wird, antwortet ein Mitspieler: Freiheit. So haben die Künstler dann auch das Video und ihre Performance betitelt: Freedom. Dass die Spielenden hier der eigentliche Gegenstand des künstlerischen Prozesses sind, entgeht diesen völlig.
Persönlich finde ich das Kunstwerk absolut gelungen, da es die Grundbedingungen des Spiels klar durch die Spielenden selbst formuliert: Entweder du tötest oder du hast hier nichts zu suchen. Der Vorgabe einfach nur überleben zu wollen bei gleichzeitigem Verzicht auf Teilnahme an einem gewalttätigen Akt wird hier versagt. Die Ausweitung der Kunst auf den digitalen Raum, was nicht bloß Veröffentlichung sondern konkret die Arbeit mit digitalen Angeboten meint, halte ich für sehr wichtig und selbstverständlich.
Nur um dem Mißverständnis vorzubeugen, möchte ich noch erwähnen, dass ich keinerlei Probleme mit Ego-Shootern und diese selbst über lange Zeit begeistert gespielt habe, was nicht bedeuten soll, dass ich diese nicht gleichzeitig immer für fragwürdig hielt. Von der These, dass diese gewaltförderlich seien, was zumeist der Grund ist, dass selbige bei jeder Gelegenheit als Sündenböcke herhalten müssen, halte ich gar nichts. Die psychologische Struktur der Spielenden hingegen, ihre Motivation und Auseinandersetzung innerhalb eines solchen digitalen Raumes, finde ich hochinteressant. Auf nichts anderes lenkt die obige Performance zunächst den Blick.
Naja – die Idee dieser „Performance“ find ich gut. Nur hat sie zwei entscheidene Haken.
Zum einen steht der Avatar mit gezogener Waffe in der Gegend rum. Also ist auch er per se schonmal agressiv von seiner Grundhaltung her. Ist doch klar, dass er dann umgenietet wird.
Hier hätte es geholfen, wenn es möglich gewesen wäre, ihn anders zu kleiden.
Als sitzende Frau zum Beispiel. Oder als Kind. DAS wäre dann wirklich spannend geworden. Dann wär deutlicher gewesen, dass es ihm nicht ums Töten geht, sondern um eine andere Message.
Und: er ist zugleich ein Fremdkörper, der den Spielfluss hemmt. Wenn man also stehen bleibt und sich mit ihm unterhält, begibt man sich in größte Gefahr selbst erschossen zu werden. Also wird dies kaum jemand tun.
Die Performance funktioniert also auch aus diesem Grund nicht.
Aus meiner Sicht ein interessantes Experiment. Aber nicht bis zu Ende gedacht.
Sehr gute Idee, den Avatar anders einzukleiden, ist in CS glaube ich auch möglich. Meiner Meinung nach ist die Hemmung des Spielflusses gerade das Entscheidende: Du musst aufhören zu „Spielen“, also die anderen abzuknallen, um der Performance zu folgen. Ich glaube, die Performance hat fuktioniert, wobei es bei dieser Art von Kunst immer um situative Entwicklung geht, sprich, die Performance braucht kein Funktionsziel, sie ist es an sich.
Bei dem Spiel sollte man wissen, dass hier das Ziel ist möglichst viele Spielgegner auszuschalten. So sind die Regeln des Spiels und das wissen auch die Leute die dieses Spiel spielen und spielen dieses Spiel auch aus diesem Grund, so funktioniert das Spiel. Da kann man nicht einfach auftauchen und erwarten dass andere dafür Verständnis zeigen, eher sollte man Verständnis dafür zeigen dass es bei diesem Spiel eben so ist. Sorry, aber in ein Spiel einzusteigen und nicht mitziehen (Teamarbeit ist hier angesagt) und dann erwarten dass man andere nicht die Regeln des Spiels befolgen weil man es gerne so hätte, ist für mich keine Kunst.
Von mir ein ganz klares Fail!
Hi Thomas,
aber genau das ist Performance-Kunst in Zusammenhang mit Intervention. Sie geht direkt ins Geschehen und greift ein. Gerade dort, wo die Spielregeln, die Regeln des Raumes, nicht zur Performance passen – daraus ergibt sich ihr Fragen stellender und kritischer Gehalt. Natürlich zeigen die Spielenden kein Verständnis, hätten sie dies getan, hätte die Performance wohl auch gar nicht funktioniert. Die Spieler werden durch den künstlerischen Akt selbst zum Teil der Performance. Die perfide Logik, sich an Regeln zu halten (egal welchen ideoligischen Unterbau das Spiel hat) als oberstes Prinzip, blind Regeln zu befolgen, weil das Spiel sie verlangt, wird auf einer Metaebene gerade Frage gestellt. Es funktioniert von Aussagegehalt ähnlich wie Michael Hanekes Film „Funny Games“. Wenn dir das nicht gefällt, ist das natürlich in Ordnung, Kunst sollte nicht dogmatisch sein (wie Spielregeln). Aber vielleicht gönnst du dem Ganzen noch einen Gedanken, bevor du es vollständig ablehnst.
Liebe Grüße
Timo
Es ist bereits ein Jahr vergangen, seit dem letzten Kommentar und der Performance, ich bin dennoch gerade erst über den Beitrag „gestolpert“ und das Thema scheint in den letzten Jahren immer zeitloser zu werden, deshalb mein später Eintrag.
Die Performance-Kunst ist in dem Fall schlicht der Alltag eines Counterstrike oder generell eines Spielers, welcher online mit anderen Spielern wirkt.
Ich meine nicht das fraggen anderer Mitspieler und das Einhalten von Spielregeln, was die Fastzination eines teamorientierten Computerspiels wie Counter-Strike ausmacht, steht weder im Beitrag noch in meinem Eintrag im Vordergrund.
Ein Spieler, welcher sich wie Sie in dem Fall, ab der Norm bewegt und nicht die vorgesehene Rolle am Spielgeschehen teilnimmt ist auch die Regel.
Es gibt unterschiedliche Formen dies zu tun, beispielsweise gibt es Spieler, welche das eigene Team attakieren. Spieler welche sich mit Vorliebe verstecken, hierzu ist zu erwähnen das Spieler welche bereits gefraggt wurden auf das Rundenende warten müssen. Es kann einfach sein, dass ein Spieler nicht aktiv ist, da er auf dem WC ist oder seine Wäsche bügelt. Wenn ein Spieler nun die Zeit bis zum Rundenende verstreichen lässt ohne am Spielgeschehen teilzunehmen, wird dies nicht lange toleriert, weil der Spielgenuss der übrigen Spieler hierunter leidet.
Die Performance-Kunst geht in dem Fall keineswegs wohlwollend in das tatsächliche Geschehen der übrigen Spieler ein. „Spinner“ oder abwesende Spieler, welche das Spiel an sich nicht vorantreiben, sondern den gesamten Spielfluß blockieren, werden gebeten das Verhalten zu unterlassen oder das Spiel zu beenden.
Es geht nicht um das blinde Befolgen von Dogmen, es ist ein Spiel und die meisten übrigen Spieler wollen gern ungestört spielen.
Wenn ich mich am Sonntagnachmittag auf den Fußballplatz stelle, auf dem gerade ein Fußballspiel stattfindet, werde ich entweder gefragt ob ich mitspielen möchte oder ich werde gebeten den Platz zu verlassen. Genau dies ist hier geschehen, es ist ein logischer Ablauf ganz kunstlos.
Ein Egoshooter eigenet sich besonders zur Polarisation, wenn ein Künstler die Bilder und das zeitlich abgepasste Wort einsetzt um ein Bild zu kultivieren, welches bereits seit Jahren in den Köpfen der Menschen gepflanzt wird, ist der unwissende Zuschauer der Spielball der Kunst.